100 politische Vorstösse sind genug

Nach 27 Jahren im Kantonsrat wurde Ruedi Blumer mit einer Standing Ovation verabschiedet.

Die Session von letzter Woche war die letzte für den Gossauer Ruedi Blumer nach einer beinahe sieben Legislaturen dauernden Amtszeit in der kantonalen Legislative. 1996 war er mit 39 Jahren als Nachfolger von Robert Zwinggi in den Kantonsrat eingezogen. Nach zwei Amtszeiten für den Landesring der Unabhängigen (LdU) fand Blumer 2004 in der SP seine neue politische Heimat.

Rücktritt „Wehmut verspüre ich nicht, wobei der Rücktritt auch noch frisch ist. Die Februar-Session hat mir nochmals bestätigt, dass der Entscheid richtig war“, sagt Ruedi Blumer und lacht. Es sei eine langatmige und eher mühsame Session gewesen. Einige Exponenten hätten wieder Beleidigungen in den Raum gestellt, statt konstruktiv zusammenzuarbeiten. Lob gibt es dagegen für den Kantonsratspräsidenten Jens Jäger, der die Verabschiedung Blumers vornahm: „Er hat das hervorragend gemacht und gemeinsam mit den Parlamentsdiensten so manches ausgegraben – unter anderem, dass ich 7 Kommissionen präsidiert und gegen 100 Vorstösse insbesondere in den Bereichen Bildung, Umwelt und Verkehr lanciert habe“, sagt Blumer erneut mit einem herzhaften Lachen. Die Standing Ovation der Ratskolleginnen und -kollegen sei ihm unter die Haut gegangen. Doch nach 27 Jahren im Kantonsrat sei es Zeit, Platz zu machen: „Ich wurde im letzten Juli 65 Jahre alt und bin inzwischen zweifacher Grossvater. Enkelkinder zu hüten, ist eine neue Herausforderung und bis kurz vor der nächsten Session bin ich noch Ratsmitglied.“ Dass der Zeitpunkt des Rücktritts ein Jahr vor Ende der Legislatur auch taktisch gewählt ist, räumt der Vater von drei erwachsenen Töchtern freimütig ein. Er habe einem Nachfolger die Möglichkeit verschaffen wollen, bei den Wahlen im Frühling 2024 mit dem Bisherigen-Bonus anzutreten.

Zu Zeiten von LdU und Autopartei
Dass Blumer während seinen fast sieben Legislaturen etwa 100 politische Vorstösse lanciert hat, hängt sicherlich auch mit den Kräfteverhältnissen im Kantonsrat zusammen. „Zwar hat innerhalb des bürgerlichen Blocks eine starke Verschiebung von der CVP zur SVP stattgefunden, doch was sich in all den Jahren nicht verändert hat, ist die unglaubliche Dominanz der bürgerlichen Parteien“, analysiert Blumer. Dass sich die Parteienlandschaft während der Amtszeit des drittdienstältesten Kantonsratsmitglieds doch ziemlich gewandelt hat, zeigt ein Blick auf die Wahl von 1996 als Ruedi Blumer als Nachfolger von Robert Zwinggi für den LdU in die kantonale Legislative gewählt wurde. Die SVP als heute stärkste Fraktion hatte im damals noch 180 Personen umfassenden Kantonsrat gerade einmal 14 Sitze. Die Autopartei war mit zehn Mitgliedern vertreten und der LdU stellte sieben Personen. „Um Fraktionsstärke zu erreichen und in Kommissionen mitwirken zu können, haben wir uns mit den Grünen und der EVP zusammengeschlossen“, erzählt Blumer. Die Grünen hatten damals ganze drei Sitze, die EVP deren zwei. Auch im Jahr 2000 wurde Blumer nochmals als LdU-Vertreter gewählt. Der schleichende Niedergang der Partei führte dazu, dass sich die wenigen noch aktiven Vertreterinnen und Vertreter im Kanton St.Gallen 2004 eine neue politische Heimat suchen mussten. „Einzelne schlossen sich den Grünen an, andere der CVP, ich und weitere der SP“, erinnert sich Blumer.

Weiterhin VCS- und SP-Präsident
Als SP-Mitglied kandidierte der gelernte Primarlehrer und Schulleiter im Herbst 2004 für den Gossauer Stadtrat. „Das erzähle ich heute nicht mehr so gerne. Natürlich hat es damals nicht gereicht“, sagt Blumer lachend. Die SP war damals in Gossau eine Kleinstpartei mit zwei Parlamentariern, wobei die Parlamentswahlliste in jenem Jahr gerade einmal fünf Personen umfasste. Fürs Gossauer Stadtparlament kandidierte Blumer selbst nie. „Ich sass damals schon im Kantonsrat und fand, die Aufgaben sollten auf mehrere Schultern verteilt werden“, erklärt er. Mehrmals kandidiert hat der gebürtige Glarner dagegen für den Nationalrat – letztmals 2019. Ein Jahr zuvor hatte sich der Gossauer bei der Wahl fürs Zentralpräsidium des VCS Schweiz gegen den Luzerner Nationalrat Michael Töngi durchgesetzt. „Dieses Amt sowie das Präsidium der VCS Sektion St.Gallen/Appenzell werde ich weiterführen“, sagt Blumer. Da könne er für umwelt- und klimafreundliche Mobilität mehr erreichen als im konservativen, autofixierten Kantonsrat. Auch das Präsidium der SP Gossau-Arnegg werde er weiterhin ausüben, erzählt Blumer, der seit 1985 in Gossau lebt. „Ich zog wegen meiner damaligen Freundin und heutigen Frau Käti 1982 nach St.Gallen. Als 1985 das erste Kind zur Welt kam, haben wir eine grössere Wohnung gesucht und in Gossau gefunden“, erinnert sich Blumer.

Gossau als Wahlbezirk
Der Umzug hatte auch Auswirkungen auf die politische Karriere Blumers, denn als er sich 1996 für den Kantonsrat aufstellen liess, war Gossau noch ein eigener Wahlbezirk, zu dem auch Andwil, Gaiserwald und Waldkirch, nicht aber St.Gallen, gehörten. „Dieser Wahlbezirk hatte im Kantonsrat damals zwölf Sitze“, erinnert sich Blumer. Mit der Verkleinerung des Rates von 180 auf 120 Sitze im Jahre 2008 und der Veränderung der Wahlkreise sei es für Personen aus Gossau auf jeden Fall schwieriger geworden, in die kantonale Legislative einzuziehen – gerade für SP-Mitglieder. „In der Stadt St.Gallen ist die SP die grösste Partei, in Gossau die kleinste. Das macht es entsprechend schwierig für uns“, hält Blumer fest. Entsprechend wichtig ist es ihm, dass der Sitz in Gossauer Hand bleibt und die viertgrösste Stadt auch weiterhin mit einer urbanen, links-grünen Stimme im Kantonsrat vertreten ist.

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